Falscher Verdacht
 
Die Abfertigungsschalter von Air Berlin in Tegel. Nach der stundenlangen Verzögerung des Abflugs der Boeing 737-800 Richtung Moskau lief am Mittwochabend alles wieder normal. Zwei Russen unterhielten sich am Flughafen Tegel über Entführungen. Das brachte ihnen eine Festnahme und den Mitreisenden lange Verspätung ein
von Lutz Schnedelbach

Berlin - Der Verdacht einer geplanten Entführung einer Air-Berlin-Maschine von Tegel nach Moskau am Mittwochmittag hat sich nicht bestätigt. Zwei Männer aus Russland im Alter von 29 und 26 Jahren waren auf dem Flughafen festgenommen worden, weil sie im Sicherheitsbereich über eine mögliche Entführung gesprochen haben sollen. Die beiden Russen wurden in der Nacht zu gestern aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Sie sollen inzwischen nach Moskau zurückgeflogen sein. Mehrere Stunden hatte am Reinickendorfer Airport Terroralarm geherrscht.

Rückblick: Der Flug AB 8352 von Tegel nach Moskau wurde gegen 11 Uhr aufgerufen, berichteten Zeugen. An den Schaltern C68 bis C70 warteten die 131 Passagiere auf ihre Abfertigung. Unter ihnen waren auch zwei gepflegt aussehende Männer aus Moskau. Sie kannten einander und sprachen russisch miteinander. Am Schalter zeigten sie ihre Pässe vor und gingen dann in den Warteraum des Sicherheitsbereiches. Dort redeten sie erneut miteinander. Es sei ein längeres Gespräch gewesen, sagten sie später der Polizei. Dass ihnen eine Frau zuhörte, bemerkten sie nicht. Sie ist Russin und arbeitet in Berlin als Sprachlehrerin. Sie wollte über das Wochenende nach Hause fliegen.

Behauptungen, nach denen die Passagierin schlecht Russisch verstehen würde, wiesen Ermittler zurück. Die Russin spreche ihre Muttersprache perfekt und konnte die Männer deshalb gut verstehen. Ihre Deutschkenntnisse seien aber nicht so gut. Deshalb musste ein Dolmetscher ihre auf russisch gemachte Aussage ins Deutsche übersetzen, sagten Ermittler. Die Zeugin berichtete, dass die Männer gesagt haben, wenn sie in das Flugzeug reingehen, könnten sie ins Cockpit gehen und mit der Maschine losfliegen. Ob die Frau „Entführung“ und „Geiselnahme“ hörte, ist unklar. Während sie ihre Beobachtungen einem Flughafenmitarbeiter mitteilte und dieser die Bundespolizei alarmierte, gingen die ersten Passagiere an Bord der Boeing 737-800.

Dann ging alles sehr schnell. Beamte der Bundespolizeiwache Tegel nahmen die beiden Russen fest. Einer hatte bereits in der Maschine Platz genommen. Sein Bekannter war auf dem Weg zu seinem Platz im Flugzeug. Die Männer seien völlig überrascht gewesen, berichteten Insassen. Kaum hatten die beiden Russen das Flugzeug verlassen, mussten auch die anderen Passagiere wieder aussteigen. Das Gepäck wurde unter Polizeischutz wieder ausgeladen. Außerdem wurde der Standplatz der Boeing abgeriegelt. Während sich Sprengstoffhunde durch das Flugzeug schnüffelten, prüften Bundespolizisten die Identität der Männer. Dabei fanden sie heraus, dass beide bei einer russischen Fluggesellschaft angestellt sind. Beide haben eine Fluglizenz und waren nach Brandenburg gereist, um Flugtrainingsstunden zu absolvieren. Während die Männer in Gewahrsam am Tempelhofer Damm gebracht wurden, befragten Staatsschützer die anderen Fluggäste. Gepäck und Flugzeug wurden weiter durchsucht. Am Abend durften die Passagiere wieder einsteigen. Die Boeing startete mit mehr als sechs Stunden Verspätung.

Zur selben Zeit begann die Vernehmungen der beiden Russen. Sie wurden zunächst mit den Aussagen der Frau konfrontiert. Dabei bestätigten sie die Aussagen der Frau. Allerdings wiederholten sie, keine Entführung oder Geiselnahme im Sinn gehabt zu haben. Gegen Mitternacht hatten die Sicherheitsbehörden keine Zweifel mehr an der Unschuld der beiden russischen Piloten. Inzwischen war ihre Kleidung und ihr Gepäck nach Sprengstoffrückständen untersucht worden. Auch der Abgleich von Personendateien mit Interpol, dem Bundeskriminalamt sowie ausländischen Geheimdiensten war negativ verlaufen. Jetzt prüft die Staatsanwaltschaft, ob die beiden Männer für den Aufwand und die Verspätung des Flugzeugs zur Kasse gebeten werden können.

Berliner Zeitung, 14.5.2010